(Nr.36) ALT WERDEN HEISST ZUKUNFT

Ach, es ist jedem von uns allzusehr bekannt: Wir kuscheln vorabendlich mit dem aktuellen Lover, knabbern fetthaltige Materialien und starren ins TV. Da taucht in irgendeiner sinnfreien Suppenoper ein neuer Jüngling mit rabenschwarzem und dichtem Deckhaar auf, scharwenzelt durch die billige Kulisse und stellt durch das vollständige Fehlen irgendeiner Form von Schauspielkunst seinen Einzeller-IQ aufs Grausamste unter Beweis. Natürlich wird er von uns und von der Couch herunter verlacht, denn schließlich sind wir echte Feingeist-Männer und lassen uns nicht von Äußerlichkeiten ablenken.

Doch schon in der nächsten Szene dürfen wir den frischen Serienstar beim Zähneputzen oder Umkleiden betrachten. Dabei trägt er natürlich weder Pullunder noch Achselhemdchen. Wir dürfen feine Muskelproportionen und bronzefarbene Haut sehen. Und schon geschieht das Unvermeidbare: Der aktuelle Lover verschluckt sich an einer Salzbrezel, bestimmte Körperpartien an ihm beginnen zu zucken und seinem Schmollmündchen entfährt ein schnalziges „Whow!!!“

Natürlich reagieren wir darauf mit sogenanntem „trockenen Humor“, schon um unsere sogenannte „Toleranz“ unter Beweis zu stellen. Problematischer wird es allerdings, wenn wir in diesem Augenblick realisieren, daß der aktuelle Lover fünf bis zehn Jahre jünger ist als wir selbst. Da gehen trockener Humor und Toleranz so schnell den Bach herunter, wie ein beim Fernsehen vernaschtes Gummibärchen hinterm Gaumensegel verschwindet. Wir werden still. Dann schleichen wir uns aus der guten Stube, um uns im Badezimmer zu verbarrikadieren. Vielleicht hilft ja ein Schwall kalten Wassers. Wenn wir uns jetzt allerdings im Spiegel betrachten, wird es gefährlich. In diesem Moment sollten wir ganz unökologisch das Wasser laufen lassen, schon um das eigene Schluchzen zu übertönen.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß hemmungsloses Weinen eine der guten Methoden ist, um Altersdepressionen wirksam zu begegnen. Beim lauten Greinen werden uns körpereigene Amphetamine unter die Fontanelle geschossen, die wiederum unser Selbstbild verschleiern, danach sieht man sich sozusagen durch einen goldenen Rauschfilter. Nachteilig an dieser Methode sind allerdings ausgeleierte Augensäcke und permanent gerötete Netzhäute.

Nicht wenige aus unserer leuchtenden Schwulengemeinde versuchen aufs Lustigste, den großen metaphysischen Schatten der naturgegebenen Endlichkeit unter Zuhilfenahme freiverkäuflicher medizinischer Produkte zu verneinen. Da werden Pasten, Öle, Pillen und Elektroschockgeräte erworben. Da kauft man sich schonmal ein kleines Fläschlein Jugend-Balsam zum Preis von 2 Monatskaltmieten oder gerbt sich die alternde Epidermis mittels Abo unter einer dieser Mikrowellen für Menschen.

Alles falsch!!!, sagt das ewig junge Lebenshilfe-Kollektiv von Chillygays auf Radio FREI!

Es rächt sich, wenn wir 38 Jahre lang aufs Neue unser neunzehntes Wiegenfest zu feiern versuchen. Es rächt sich, wenn wir kapitalistische Pharma-Kacke in unsere Altersfurchen spachteln und es rächt sich, wenn wir im Alter von vierzig Jahren in neonfarbenen Pantalons durch den Steiger skaten.

Jede altersbedingte äußerliche Veränderung des Körpers gehört vom inneren Körper gefeiert. Wenn 1000 dünne Haare von unbestimmbarer Farbe im Nissenkamm hängenbleiben, ist es Zeit, eine riesige Party zu feiern. Motto: „Von der Perücke zur Bowlingkugel“. Jedes neue Kilo auf der gnadenlosen Digital-Waage im Badezimmer sollte ein 5-Gänge-Menü im teuersten Puffbohnen-Restaurant wert sein. Für jede neue Runzel im Gesicht kauft man sich einen exorbitanten Mapplethorpe-Bildband voller Photos mit Jünglingen.
Und für geriatrisch bedingte Erscheinungen wie schleichendes Harnstottern oder leichte Gedächtnisverluste wird das Konto erbarmunglos überzogen, und zwar für jene Schiffs-Reisen, die wir schon immer mal machen wollten.

SO! Und nur so geht die aufgeklärte Tucke mit der Geißel ALTER um.

Offensiv, selbstverliebt und lustvoll.

Da mögen die alten, zahnlosen Kerle in den Schwulensaunen der Löbervorstadt sabbern, was sie wollen.

Das jedenfalls empfiehlt Euch Euer Hobby-Urning MARCELLO LIBELLE

P.S. Bitte schenkt mir zu meiner Party am Samstag keinen Bungee-Sprung. Den hatte ich schon zu meinem achtzehnten Geburtstag im vorigen Jahr. Danke.

0 Kommentare zu “(Nr.36) ALT WERDEN HEISST ZUKUNFT”


Kommentare sind zur Zeit deaktiviert.