(Nr.40) Leise rieseln die Vorsätze fürs neue Jahr

Auch unter uns Schwestern hat sich virulent und alljährlich zum Kalenderwechsel die hoffnungslose Unsitte der sogenannten VORSÄTZE ZUM NEUEN JAHR ausgebreitet.

Seit Bestehen der schwulen Menschheit ist es schier unmöglich, Anfang Januar eine der unzähligen Szene-Garagen zu betreten, ohne dass einem schon aus größerer Entfernung entsprechend affektierte Sätze die Lackfrisur zerpusten.
Da hört man:
„Dieses Jahr nur Rohkost.“
oder
„Ein einziges Mal 365 Tage keinerlei Promiskuität! Allein die Kondomkosten, die ich spare, denk doch mal!“
oder
„Ich fang wieder an, Tagebuch zu schreiben, weißt du.“
oder
„In diesem Jahr, das schwöre ich feierlich, zahl ich die Kraftfahrzeug- und die Hundesteuer auf den Tag genau!“
Und so weiter und so fort.

In den Saunen der Löbervorstadt drehen sich alljährlich und knarrend die Gebetsmühlen der Silvester-Versprechen. Mit den Kräuteraufgüssen und den Hektolitern verlogenen Männerschweißes verpuffen natürlich auch all die vergebens hinausbalsamierten Gebote für das endlich vollkommen neue Jahr. Ein Jahr, wie es noch nie eines gegeben hat. Aber leider: Alle Gebote und alle Behauptungen sind doch nichts anderes als: Entladungen der Luft. Da kann man schwören, was man will. Natürlich wird weiter geschlemmt und geraucht. Und natürlich wird weiter herumgeschwuchtelt und um die Häuser gezogen, trotz Treueschwur und Kniefall am Neujahrstag. Und natürlich findet man sich weiter nachts am Eisschrank, auf der nervösen Suche nach fetten Salami-Käse-Canapees oder schweinesüßem Himbeerkompott. Natürlich wird niemals trotz Sport-Schwur gejoggt oder gepowerwalkt. Und die Jahreskarte fürs Fitness-Studio baumelt teuer bezahlt, aber unbenutzt und fahl werdend, bis in den nächsten Winter an der Pinnwand unser vergeblichen Hoffnungen.

So sei es.

Den Ekel-Katalog des Widerwärtigen schlägt allerdings jener moderne junge Schwule auf, der sich über die Unsitte der Vorsätze zum Neuen Jahr auf schmierigste Comedy-Art lustig zu machen versucht. Das ist nun wirklich out. Auf jeden Fall ist diese billige Form der Ablenkung gestriger und unangenehmer als die wunderliche Tradition, jedem, der gerade zuhört, zu berichten, dass man in diesem Jahr auf jeden Fall „Italienisch auf der Volkshochschule“ lernen wird.

Ein guter Haushalts- und Lebenstip für 2003 scheint mit einer kleinen Idee daherzuwandern, die da heißt: STILLE ABSAUGUNG DER VORSÄTZE ANDERER.

Okay, das klingt kompliziert, ist aber allenfalls einfacher, als auf das geliebte Nikotin oder den wöchentlichen Seitensprung zu verzichten.

Also noch mal zum Mitschneiden: Man schweige im Gespräch über Vorsätze zum Neuen Jahr, höre aber genau zu. Aus dem gesammelten Arsenal sucht man sich jene heraus, die einem selbst am absurdesten vorkommen. Mit großer Sicherheit kann man den wabernden Freundeskreis aus Urningen verblüffen, wenn man plötzlich Italienisch kann oder wie vom Blitzschlag getroffen rank und schlank daherstolziert und gleichzeitig auf Monogamie besteht. Im Zweifel muss man Stadt, Beruf, Stil und Namen ändern.

Aber was ist das schon gegen einen vergeblich ausgerufenen Schwur zum Kalendertausch?

Gar nix.

Verrät euch euer Marcello Libelle.

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